Bei der Darstellung von Geschlecht im Film gilt: Genau hinschauen. Photo by Mason Kimbarovsky on Unsplash

Interview: “Geschlecht entsteht im Detail”

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8 min readFeb 23, 2021

Filme greifen oft Figuren und Probleme aus dem Leben auf. Wie groß ist andersherum der Einfluss des Films auf das “echte” Leben?

Susanne Foidl: Mitunter enorm. Nachdem ich den weißen Hai gesehen hatte, hab ich danach Schiss gehabt, in unserem kleinen Baggersee baden zu gehen. Die Kameraeinstellung von unten mit den paddelnden Beinen habe ich einfach nicht mehr aus dem Kopf gekriegt. Deutlich dramatischer ist aber natürlich, dass so auch Ideologien verkauft werden. Nicht ohne Grund nehmen autoritäre Regime als erstes die Medien in Beschlag. Sie bedienen sich in ihrer Propaganda zum Beispiel ganz gezielt emotionalen Narrativen, mit denen sie Hass und Ängste schüren. Und so etwas läuft oft einfach unreflektiert in uns rein. Wiederholen sich solche Botschaften oder Darstellungen, nehmen wir sie irgendwann als normal an. So ist der Film eine „Weltanschauungsmaschine“, der den Blick auf andere Menschen formt.

Gilt das auch für den Blick auf “die Frau”? Nach unserer Datenauswertung ist die Präsenz von Frauen dem Gros der Zuschauer:innen bei der Qualitätswahrnehmung von Filmen egal.

Foidl: Das überrascht mich nicht. Bei den Bildern, die wir von Frauen und Männern haben, haben wir nach meiner Einschätzung gesellschaftlich eine Rolle rückwärts gemacht. In der Frauenbewegung der 70er- und 80er-Jahre, insbesondere nach Laura Mulveys Artikel über den „Male Gaze“, gab es die Bestrebungen andere Filme zu machen, andere Frauen zu zeigen und andere Geschichten zu erzählen. Aber ich habe den Eindruck, dass es insbesondere durch das Internet, durch die sozialen Medien wieder einen enormen Backlash gibt. Das ist eine gesellschaftliche Veränderung, die einzelne Filmemacher:innen nicht verändern können. Und was wir im Leben als normal ansehen, wird uns im Film nicht plötzlich negativ auffallen. Warum sollte da plötzlich auffallen, dass Frauen da nicht miteinander reden oder eben nur oft nur über Männer? Insbesondere, weil im Kino ja ein normales Publikum sitzt, dass nicht den Luxus hat, ich ganz bewusst mit dem Film und dem, was sie da sehen, auseinanderzusetzen. Deshalb haben dann Filmemacher:innen große Verantwortung.

Susanne Foidl. Foto: Ingo Kniest

Susanne Foidl

Susanne Foidl ist seit 2013 die Gleichstellungsbeauftragte an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf, an der sie Künstlerische Montage lehrt. Die Diplom-Schnittmeisterin hat außerdem den “Babelsberger Salon”, ein Forum für die Auseinandersetzung mit Gender, Film und Ästhetik, gegründet und das 1. Symposium Gender-Forschung-Film ins Leben gerufen. Sie wünscht sich mehr Filme über ganz normale Frauen — etwa über eine Busfahrerin in Brandenburg und die Dramen ihres Alltags.

Wir haben bei der Präsenz von Frauen große Unterschiede zwischen den Genres festgestellt: Wenig Action für Frauen — dafür viel Romantik und Drama. Sind wir auch das nicht anders gewohnt?

Foidl: Ja, es gibt einfach zu wenig Frauen in Action-Heldinnen-Rollen, als das wir das als normal wahrnehmen würden. Aber aus meiner Sicht reicht es auch nicht, einfach nur die Heldenfigur weiblich zu besetzen. Es ist immer die Frage, was haben die dieser Figuren für Ziele und Konflikte? Was haben sie für Gegenspieler? Und darin stecken häufig eben doch Stereotype, auch wenn die Heldin eine Frau ist.

Eine Heldin an sich reicht also nicht. Wie entsteht denn konkret Geschlecht im Film?

Foidl: In Details. Sie machen dann z.B. einen Dialog Schuss Gegenschuss. Also die gucken sich an uns und sehr häufig ist es so, dass wenn wir die wenn wir die Frau sehen, die antwortet ist sehr oft die Schulter oder so. Diese Seite des Mannes mit dem Bild, während Männer sehr häufig alleine im Bild sind. Implizit hat das eine Aussage: Die Frau existiert eigentlich nur im Verhältnis zum Mann, während er völlig alleine im Bild stehen kann. Ganz viel Vergeschlechterung entsteht aber auch in der Montage. Dadurch, dass ich Einstellungen aneinanderreihe und entscheide, wann ich welche Details zeige, kann ich Dinge behaupten: Wenn ich in einem Dialog zwischen einem Mann und einer Frau, Nahaufnahmen zeige, wie sie eine Locke um ihren Finger wickelt, erzeugt dieses Detail Geschlecht und die Eigenschaften, die wir ihm zuschreiben. Wenn man das nicht weiß, kriegt man solche Details überhaupt nicht mit, und die Wahrnehmung von Geschlecht passiert komplett unterbewusst, denn im besten Fall ist man ja von der Handlung und dem Film eingenommen.

Solche Details bleiben rudimentären Instrumenten wie dem Bechdel-Test verborgen. Was sind bessere Maßstäbe für die Geschlechterdarstellung?

Foidl: Ein Schnelltest ist, das Geschlecht der zentralen Rollen mal gedanklich zu tauschen und sich zu überlegen, ob die Geschichte dann noch Sinn ergibt. Wenn nicht, ist das ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Rolle stereotypisch aufgeladen war. Ich versuche nach einem Film immer isoliert herauszuarbeiten: Was haben die zentralen Figuren für Ziele und durch welche Konflikte müssen sie? Sind das Probleme, die vor allem einen Bezug zum Geschlecht haben? Also beispielsweise, ob sich für eine Frau der Film um die Frage dreht, ob sie eine gute Mutter ist. Dafür muss man weder jeden einzelnen Dialog im Kopf haben, noch einen Film mehrfach sehen.

Bringen mehr Frauen im Produktionsprozess, ob als Regisseurin, Drehbuchautorin oder im Schnitt automatisch auch ein differenzierteres Bild von den Konflikten und Zielen von Frauen in den Film?

Foidl: Es gibt so viele Blicke, wie es Menschen gibt. Und ich glaube, eine Frau kann genauso einen „Male Gaze“ oder sexistisch oder rassistisch sein. Wir sind ja nicht die besseren Menschen. Davon abgesehen, welchen Blick Frauen nun mit in einen Film bringen, stellen sich für mich trotzdem Fragen des Arbeitskampfes: Warum gibt werden bei über 50 aus öffentlich-rechtlichen Mitteln bezahlten „Tatorten“ im Jahr nur 3 von Kamerafrauen gedreht, obwohl es mittlerweile wirklich sehr viele gibt?

Sie sehen eine strukturelle Benachteiligung von Frauen in der Filmbranche?

Foidl: Ja, insbesondere was die Förderung durch öffentliche Mittel angeht. Schweden beispielsweise ist da ein großes Vorbild, da gibt es Anreizsysteme, nach denen mehr Geld vergeben wird, wenn die Hauptdepartments, also Produktion, Regie und Drehbuch, auch mit Frauen besetzt sind. Die sind dann wiederum auch für weitere Engagements verantwortlich. Und einige Studien weisen klar nach, dass wiederum auch mehr Frauen engagieren, weil sie eben auch in Frauennetzwerk unterwegs sind und sich untereinander kennen. Genauso wie Männer bisher eben vor allem ihre Buddies engagieren. Das hat nicht zwingend Einfluss auf den Inhalt, sollte aber zugunsten der Perspektivenvielfalt trotzdem durchbrochen werden.

Was sollte sich strukturell noch verändern?

Es gibt viele Strukturen in der Hierachie von Film-Teams, die abgebaut werden müssten. Das Bild des Regisseurs, der den Film schon von Anfang an im Kopf hat, ist ein Märchen. Die Regie ist auch ein Team-Mitglied. Und dennoch führt die Vorstellung des “genialen Regisseurs” dazu, dass sich bei einem Casting junge Frauen nicht trauen, den Mund aufzumachen, weil sie eben Angst haben, nicht engagiert zu werden. Das wandelt sich aber zum Glück, auch durch Making Ofs und das Bewusstsein, dass hinter einem Film ein großes Team steht, dass Filme heute durch etliche Technologien zunehmen “gemacht” werden. Während der Schnitt früher Dömane von Frauen — von den “kleinen Kleberinnen”– war, hat sich das Bild der Montage durch Preise, die größere Öffentlichkeit gewandelt. Seit dem Bewerben sich auch immer mehr Männer in diesem Bereich.

Die MeToo-Bewegung hat auch in Deutschland Wellen geschlagen. Hat die Debatte hierzulande schon etwas verändert?

Foidl: Auf jeden Fall. Bei uns an der Uni ist das ein großes Thema. Viele Student:innen wurden ermutigt, ihre eigenen Geschichten zu erzählen. Ein Projekt, das ich als Gleichstellungsbeauftragte gefördert habe, ist zum Beispiel der Dokumentarfilm “The Case You” von Alison Kuhn. Sie hatte bei einem Casting eine Erfahrung mit einem Regisseur gemacht und hat nach und nach weitere Schauspielerinnen getroffen, die ebenfalls bei dem Casting waren und ähnliche Erfahrung gemacht hatten. Durch MeToo haben sie den Mut gefasst darüber zu sprechen und einen Film darüber zu machen und sich zu fragen: Wie konnte so etwas passieren? Warum nehmen wir an, dass es normal ist, wenn uns ein Regisseur Angst macht und anfasst? Warum wurden wir nicht darauf vorbereitet, dem zu widersprechen? Die Sensibilität dafür, was eigentlich okay ist und was nicht, hat MeToo definitiv gestärkt.

Und die Darstellung von Frauen im Film, hat die sich durch MeToo auch verändert?

Foidl: Ich sehe vor allem das, was an unserer Uni passiert. Und da sage ich: ! Auch die Studenten machen sich viele Gedanken darüber, auch über ihr Männerbild. Im ganzen Prozess vom Drehbuchschreiben, über den Schnitt, das gemeinsame Ansehen der ersten Version, gehört die Diskussion über Geschlechterdarstellung seit dem einfach dazu, ist nicht mehr tabuisiert, darüber kann gesprochen werden — auch mit dem alten weißen Prof.Das passiert aber nicht nur an der Uni. Mittlerweile haben auch fast alle Produktionsfirmen in Deutschland Positionspapiere und klare Kriterien für Diversitäts- und Geschlechterdarstellung im Film — auch weil sie merken, dass sie mit den Stereotypen nicht mehr so durchkommen.

Und dennoch haben bei großen Filmpreisen wie den Academy Awards in den vergangenen Jahren immer noch Filme abgeräumt, die selbst den Bechdel-Test nicht bestehen. Kann das eine negative Signal-Wirkung haben?

Foidl: Wenn es bei Filmen wirklich nur um die Industrie, also um es Geld geht, passiert es schon, dass vermeintlich funktionierende Rezepte wiederverwendet werden. Spike Lee hat damit bei den Oscars schon Bekanntschaft gemacht. 1990 und 2019 war er jeweils einem Drehbuch nominiert, es gewannen aber jeweils andere: “Driving Miss Daisy” und dann “Green Book” — zwei Filme mit fast identischem Konzept. In Hollywood und auch Bollywood funktionieren Filme oft nach einem Rezept, das sich mit der Zeit aber etwas an den Mainstream und aktuelle Themen anpasst. Die Filmpreise bemühen sich aber durchaus, Jurys zunehmend divers zu besetzen. Das Problem ist aber, dass es bei vielen Filmpreisen gar keine festen Kriterien gibt, auch bei den Academy Awards nicht — entsprechend gibt es auch keine Kriterien, die Diversität oder ein “Mindestmaß an Frau” festlegen können.

Sie engagieren sich für Gendergerechtigkeit im Film, in der Lehre und auch im “Babelsberger Salon” und im “Symposium Gender-Forschung-Film”. Diese Initiativen richten sich aber natürlich an Menschen der Filmbranche. Wie kann ich mich als Zuschauer:in einsetzen?

Foidl: Nicht das Geld an der Kinokasse ausgeben für einen Film, der ganz offensichtlich keine moderne Geschlechterauffassung hat. Und generell ist ein kritischer Blick wichtig, bewusst wahrnehmen und nachher Gespräch suchen mit anderen, mit denen einen Film gesehen hat. Empfehlungen aussprechen. Darüber hinaus ist das Engagement für Zuschauer:innen aber schwierig.

Welche Frauenrolle würden Sie gerne mal in einem Film sehen?

Foidl: Ich mag gerne Dokumentarfilme und in Leipzig gibt es ein fantastisches Dokumentarfilm-Festival. Und da hab ich mich wirklich schon oft geärgert, weil da dann zig Porträts über den “genialen Künstler” Gerhard Richter gezeigt werden. Aber es gibt kaum Dokumentarfilme über Frauen. Mich würden Filme über Frauen interessiere, die ganz normale Menschen sind: eine Busfahrerin in Brandenburg zum Beispiel. Warum muss es etwas Großes sein, wir leben doch alle normale Leben? Über dieses Drama im ganz Normalen würde ich gerne mehr erfahren. Das wäre auch eine Chance wegzukommen, von den Klischee-Konflikten und Stereotypen, die wir schon zig mal gesehen haben.

Gespräch geführt und aufgeschrieben von Anne Kliem

In unserem Forum für Gendergerechtigkeit im Film können Medium-User:innen aktuelle Filmproduktionen vor diesem Hintergrund diskutieren und Empfehlungen aussprechen — oder von problematischen Filmen abraten.

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